10.12.2003
An die
Mitglieder des Bundesrates
Betr.: Änderung des Betreuungsrechtes
Sehr geehrte Damen und Herren!
Am 28.11.2003 wurde auf Beschluss der Justizminsterkonferenz der
Gesetzentwurf zur Änderung des Betreuungsrechtes in den Bundesrat
eingebracht. Unsere Bedenken, die wir am 25.08.03, Verbändeanhörung
in Düsseldorf, als einzige vom BMGS geförderte bundesweite Selbsthilfeorganisation
von derzeitigen und ehemaligen Psychiatrie-PatientInnen gegen die
geplante generelle Bevollmächtigung der Angehörigen psychisch erkrankter
Menschen schriftlich und mündlich vortrugen, blieben unberücksichtigt.
Als dann nach der Verbändeanhörung uns durch Zufall bekannt wurde,
dass darüber hinaus auch noch die ambulante Zwangsbehandlung von
Menschen in psychischen Krisen legalisiert werden soll, haben wir
uns rechtzeitig mit einer Stellungnahme an die am 06.11.03 tagende
Justizministerkonferenz gewandt.
Wir möchten hier nochmals unsere Bedenken gegen
vortragen.
Die mit Aufnahme des § 1906 a im BGB vorgesehene Legalisierung
ambulanter Zwangsbehandlung in Verbindung mit dem geplanten §
70o FGG kann aus unserer Sicht nicht zu einer Verbesserung, sondern
eher zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Betroffenen
führen. Menschen sind während psychisch bedingter Krisen besonders
sensibel und verletzbar. Jede Zwangsmaßnahme in diesen Phasen wirkt
besonders traumatisierend. Hinzu kommt, das diese zusätzliche Traumatisierung
das ursprüngliche, die psychische Krise auslösende Trauma überdecken
. Die Aufarbeitung der Traumata wird schier unmöglich, der Prozess
der dauerhaften seelischen Stabilisierung stark behindert. Die Folge
ist die Chronifizierung der psychischen Erkrankung. Nutzt das der
betroffenen Person? Nutzt dies der Gesellschaft? Nein, denn die
von derartigen Maßnahmen immer wieder betroffenen Menschen werden
mit der Zeit dem Sozialhilfesystem zur Last fallen.
Im stationären Bereich wurde daher schon vermehrt dazu übergegangen,
durch Deeskalationsstrategien Zwangsbehandlungen und sonstige Zwangsmaßnahmen
zu vermeiden. Nicht ohne Grund sind in den meisten PsychKGs der
Länder hohe Hürden für die Zwangsbehandlung aufgebaut worden. Auch
die diskriminierende und damit krankmachende Auswirkung einer regelmäßigen
polizeilichen Vorführung beim niedergelassenen Psychiater sollte
in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden. Wir fragen uns, ob
derartige Maßnahmen mit der im Art. 1 des Grundgesetzes verbürgten
Menschenwürde sowie mit dem im Art. 3 des Grundgesetzes verankerten
Diskriminierungsverbot für Menschen mit Behinderungen vereinbar
sind.
Die generelle Bevollmächtigung von Angehörigen (Ehepartnern, Eltern,
Kindern) für die Gesundheitssorge, wie sie in den geplanten §§
1358a und 1618b vorgesehen ist, wirkt im Prinzip in die gleiche
Richtung. Diese Regelung, die z.B. für Komapatienten durchaus sinnvoll
sein kann, erhöht aber bei Menschen in psychischen Krisen das Konfliktpotential
innerhalb der Familien und manifestiert die Erkrankung. Psychische
Erkrankungen entstehen immer durch Wechselwirkungen innerhalb eines
sozial Beziehungsgefüges, wie es z.B. die Familie ist, dabei wird
oft das konfliktschwächste Mitglied in die Patientenrolle gedrängt.
Würde in dieser Situation ein Angehöriger aus seiner Sicht hilfreichen
Behandlungsmethoden zustimmen, die die betroffene Person aufgrund
negativer Vorerfahrungen für sich ablehnt, würde damit dauerhaft
das für den Genesungsprozess notwendige Vertrauensverhältnis innerhalb
der Familie zerstört. Das Risiko einer Chronifizierung würde sich
drastisch erhöhen. Eine "automatische" Wahrnehmung der Vertretungsbefugnis
durch Angehörige gegen den Willen der Betroffenen ist somit kontraproduktiv.
Wir fordern Sie daher auf, bei den anstehenden Beratungen im Bundesrat
-
den geplanten Gesetzesregelungen zur ambulanten Zwangsbehandlung
nicht zuzustimmen
-
den Kreis der Menschen mit psychischen Erkrankungen von der
generellen Bevollmächtigung der Angehörigen für die Gesundheitssorge
auszunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Ruth Fricke
Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des BPE e.V.
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