Nein zu: ambulanter Zwangs-Behandlung!
(Einfache Sprache)
Ambulant heißt: Du bist nicht in einem Kranken-Haus. Oder einem Wohn-Heim.
Zwangs-Behandlung heißt: Du willst die Behandlung nicht.
Momentan ist das verboten. Aber es soll erlaubt werden.
Das darf nicht passieren!
Weil:
- es verstößt gegen Grund-Rechte
- es verhindert Vertrauen
Nur in einem Krankenhaus darf Zwangs-Behandlung gemacht werden. Das ist auch gegen deine Grund-Rechte.
Es ist gegen die UN-Behinderten-Rechts-Konvention. Kurz UN-BRK. Die UN-BRK ist eine Vereinbarung. Dort stehen die Rechte von behinderten Menschen.
Deine Rechte dürfen nicht weiter eingeschränkt werden!
Alle Menschen sollen selbst entscheiden!
Dafür setzen wir uns ein.
Wir sind: Psychiatrie-Erfahrene. Das heißt: Wir waren in psychiatrischer Behandlung. Wir wollen selbst entscheiden über die Behandlung.
Warum wir NEIN sagen
Positionspapier des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener e.V. zur „ambulanten Behandlungsweisung“
Die „ambulante Behandlungsweisung“ darf nie den Weg in deutsche Gesetze finden.
Sie widerspricht dem Willen Psychiatrie-Betroffener:
Zwangsbehandlung darf derzeit nur in der stationären Psychiatrie stattfinden. Sie ist ambulant verboten! Dass die Anwendung von Zwang- und Gewaltanwendung innerhalb von psychiatrischen Stationen keine Ausnahme ist, ist durch das populär investigativ journalistische Magazin Team Wallraff im Bewußtsein der Öffentlichkeit angekommen. Allein in Berlin wurden im Corona-Jahr 2020 den Recherchen des RBB zufolge 3.290 „Fixierungen“¹ beantragt. Dies bedeutet, dass im Schnitt 2020 alle 2-3 Stunden ein Mensch
in Berlin „fixiert“ wurde².
Alle Menschen, die gegen ihren Willen in einer Psychiatrie untergebracht werden, verstehen schnell, dass ihnen innerhalb dieser totalen Institution³ bei Nicht-Einhaltung der vorgegebenen Regeln wesentliche Grundrechte entzogen werden. Darüber hinaus droht ihnen bei Verweigerung der freiwilligen Einnahme sogenannter Psychopharmaka, dass sie diese unter Anwendung von Zwang und Gewalt ohne ihre Zustimmung injiziert bekommen. Fällt die Grenze zwischen ambulant und stationär weg, führt das zu einer Ausweitung der totalen Institution hinein in die Privatsphäre der Betroffenen. Das stellt nicht nur eine de facto Aufhebung elementarer Grundrechte, wie Selbstbestimmung und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, dar. Diese fortdauernde Bedrohungssituation durch das sogenannte Hilfesystem gefährdet den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zu Therapeut*innen und für das „Hilfesystem“ tätigen Fachkräften, bevor sie entstehen kann.
Sie widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention
Deutschland ist eines von 185 Ländern, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) die 2008 in Kraft trat ratifizierte.⁴ Der Artikel 3.1 der UN BRK sichert: „die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit.“
Die kürzlich veröffentlichten abschließenden Bemerkungen Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-BRK durch den Behindertenrechtsaussschusses der UN kritisierte Deutschland unter anderem wegen; der Verwendung von physischen und chemischen Beschränkungen, Isolationsmaßnahmen und anderen schädlichen Praktiken, insbesondere in Pflege- und Integrationshilfeeinrichtungen sowie anderen Einrichtungen, psychiatrischen Einrichtungen und forensischen psychiatrischen Einrichtungen.⁵
Wir sind empört und fragen uns wie es möglich ist, dass in Anbetracht der Kritik der Behindertenrechtsaussschusses der UN nun wie selbstverständlich dazu übergegangen wird, die angemahnten schädlichen Praktiken nun auch in der Privatsphäre der Betroffenen ausführen zu wollen.
Das Wort „Behandlungsweisung“ bedeutet Behandlungserzwingung
Gesetze zu ambulanter Behandlungserzwingung (wie es sie in fast allen US- und einigen EU-Staaten gibt) senken die formalrechtlichen Hürden zur Ausübung von Zwang. Letztlich bedeutet „Behandlungsweisung“, dass allein die Weigerung, sich einer „Weisung“ zu fügen, ausreicht, damit sogenannte Psychopharmaka gegen den Willen der Betroffenen verabreicht werden dürfen. Die ambulante Behandlungserzwingung macht sich die Angst von Psychiatrie-Betroffenen vor der Ausübung von Zwang und Gewalt seitens der psychiatrischen Institutionen zu Nutze: Betroffene nehmen entgegen eigener Entschlussfindung sogenannte Psychopharmaka ein, um der Anwendung von Zwang und Gewalt durch das „Hilfesystem“ zu entgehen.
Sie ist diskriminierend.
Ambulante Behandlungserzwingung stellt eine Erweiterung der totalen Institution in das Privatleben der Betroffenen dar. Dies hat zur Folge, dass das extensive Ausmaß von Kontrolle über das Leben von Menschen nicht mit dem Verlassen einer erzwungenen Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie endet. Sowohl die Kontrolle, als auch Androhung und Ausübung von Zwang und Gewalt werden auf die Privatsphäre der Betroffenen übertragen. Zudem geschieht dies auf Grundlage der Feststellung einer „psychischen Krankheit“ beziehungsweise einer „psychosozialen Behinderung“. Jedoch sind die Diagnosen, welche die Voraussetzung für eine Behandlung bilden, den Betroffenen in vielen Fällen von demselben „Hilfesystem“ zugeschrieben worden, welches die Betroffenen zuerst innerhalb der psychiatrischen Klinik und nun in der eigenen Privatsphäre mit Zwangs- und Gewaltanwendung bedroht. In unserer Gesellschaft gibt es Selbstgefährdung, Fremdgefährdung und Gewalt in verschiedensten Formen und Ausprägungen. Es ist widersprüchlich in einer demokratischen Gesellschaft, in der verfassungsgemäß für alle Menschen die gleichen Gesetze gelten, ausschließlich Menschen mit psychiatrischen Diagnosen einer ambulanten Behandlungserzwingung zu unterwerfen. Zudem muss betont werden, dass die Diagnosestellung und Zwangsbehandlung zudem überproportional oft migrantisierte und Schwarze Menschen, Menschen in sozialen Notlagen sowie Menschen mit geistig-kognitiven Einschränkungen betreffen.
Sie ist ein menschenrechtlicher Rückschritt.
Bereits die bestehende Psychiatrie- und Betreuungsgesetzgebung lässt intensive Eingriffe in die Freizügigkeit, die körperliche Integrität und menschliche Würde zu. Sie verstößt daher gegen unsere elementaren Grund- und Menschenrechte, gegen die UN-Antifolterkonvention und gegen die UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Eine Ausweitung von Zwang in die „Gemeinde“ kommt einem menschenrechtlichen Desaster gleich. Es ist vorhersehbar, dass derartige Gesetze auch keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht haben.
Sie ist ein medizinischer Rückschritt.
Gerade in den USA ist die Forschung zu ambulanter Behandlungserzwingung von massiven Interessenskonflikten geleitet: Neutrale Untersuchungen (einschließlich der Cochrane Meta-Analyse aus 2017 ⁶) ergaben, dass es keine eindeutige Beweisbarkeit für einen Nutzen der ambulanten Behandlungserzwingung für „psychisch Kranke“ nachweisbar ist. Einzelne Erfolge gehen den Untersuchungen nach nicht auf den Zwang zur Einnahme von sogenannten Psychopharmaka zurück, sondern auf die Installation eines Hilfenetzwerkes.
Wir fordern die sofortige Beendigung der Planung von Ambulanter Behandlungserzwingung! Grundrechte sind nicht verhandelbar. Weder für Menschen mit psychiatrischen Diagnosen noch für andere Minderheiten!
Aus welcher Position wir sprechen.
Wir haben Psychiatrie erlebt. Einige von uns haben Gewaltanwendung und Zwangsmedikalisierung am eigenen Leib erfahren. Wir praktizieren gegenseitige Unterstützung und nutzen unsere Erfahrungen als Triebkraft für Veränderung. Viele von uns wurden als „selbst- und fremdgefährdend“, „behandlungsbedürftig“ und als „schwer chronisch psychisch krank“ etikettiert.
Uns verbindet der Kampf dafür, dass das Leid, das wir im „Hilfesystem“ erfahren mussten, anderen Menschen in vergleichbarer Situation erspart bleibt. Einige von uns tun dies seit über 30 Jahren.
Wir beraten, ermutigen, begleiten und stärken regelmäßig Psychiatrie-Erfahrene, die zur Zielgruppe einer ambulanten Behandlungserzwingung gehören würden. Wir sind der lebende Beweis dafür, dass es auch anders geht.
– Dieses Positionspapier ist das Resultat der Arbeitsgruppe „Nein zu ambulanter Behandlungserzwingung“ des Bundesverbands Psychiatrie Erfahrener e.V. und der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie Erfahrener e.V. V.i.S.d.P. Felix Frhr. v. Kirchbach. Im Namen des BPE-Vorstandes bedanke ich mich bei allen Mitwirkenden. –
Glossar / weiterführende Quellen:
¹ Fixierungen:
Der Bergiff Fixierung beschreibt im Kontext der psychiatrischen Behandlung das Anbinden einer Person durch Gewaltanwendung an eigens für diesen Zweck entworfenes Fixierungsbett. Fixierungen widersprechen der UN Folterkonvention. Diese besagt, dass sowohl die 5-Punkt-Fixierung als auch die 7-Punkt-Fixierung die Folterdefinition des Art. 1 der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen erfüllen, weil die Tatbestandsmerkmale – Zufügung schwerer Schmerzen und schweren Leids, sowohl physisch wie auch psychisch, Vorsatz und die Beteiligung ärztlichen Personals als Repräsentanten des Staates gegeben sind. siehe hierzu:
- https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/07/rs20180724_2bvr030915.html (Absatz 38)
- https://www.antifolterkonvention.de/uebereinkommen-gegen-folter-und-andere-grausameunmenschliche-oder-erniedrigende-behandlung-oder-strafe-3149/
³ Totale Institution:
totale Institution beschreibt nach dem Soziologen Erving Goffmann nach Orte, die als „geschlossene Welten“ betrachtet werden können. Goffmanns Buch „Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer
Patienten und anderer Insassen.“ zeigte bereits 1967 die strukturellen Missstände in Psychiatrien und anderen Institutionen auf, die bis heute gültig sind. Folgende Punkte sind ein Indikator für das
Vorhandensein einer totalen Institution:
- Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle, unter ein und derselben Autorität statt.
- Die Mitglieder der Institution führen alle Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus
- Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, eine geht zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt in die nächste über, und die ganze Folge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System explizierter formaler Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben.
- Die verschiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen.
(Siehe hierzu : Asyle: Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen, Suhrkamp, 1973, S.17ff)
⁴ https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-15&chapter=4&clang=_en