Der “Deutsche Ethikrat” wurde 2007 von der Bundesregierung ins Leben gerufen. Er erarbeitet seine Stellungnahmen im Auftrag des Deutschen Bundestags oder der Bundesregierung. Der “Deutsche Ethikrat” besteht aus 26 Mitgliedern, „Fachleuten“ aus unterschiedlichen Bereichen, die von Bundesrat und Bundesregierung ausgewählt werden. Der Bundestag hat 2015 den § 217 StGB beschlossen. Dieser sollte verhindern, dass suizidwillige Menschen Sterbehilfe in Anspruch nehmen können.

Offensichtlich soll der „Deutsche Ethikrat“ nun auf andere Art und Weise das Persönlichkeitsrecht auf selbstbestimmtes Sterben regulieren, da das Bundesverfassungsgericht den § 217 StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt und ersatzlos gestrichen hat.

Der „Deutsche Ethikrat“ versucht offenkundig Absatz 1c aus den Leitsätzen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: „Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“, zu relativieren.

Es ist also anzunehmen, dass die Bundesregierung den „Deutschen Ethikrat“ mit der Stellungnahme beauftragt hat, damit sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen kann; dadurch dass ein anderes Regelwerk geschaffen werden soll, auf dessen Basis es zulässig wäre, Menschen ihr Persönlichkeitsrecht auf selbstbestimmtes Sterben zu verwehren.

Dieses Vorgehen entbehrt jeglicher gesetzlichen Grundlage und wird daher von uns, im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, als verfassungswidrig angesehen.

Was würde bloß passieren, wenn wir tatsächlich die Freiheit hätten, uns auch gegen das Leben entscheiden zu dürfen?

Der “Deutsche Ethikrat” spricht von der institutionellen „Verantwortung für die Reduktion der Gefahr einer prekären Selbstbestimmung.“ Selbstbestimmung ist also prekär (schwierig, unangenehm).

Weiter heißt es dazu: „Diese Gefahr kann durch eine umfassende Strategie der allgemeinen, der selektiven sowie der indizierten Suizidprävention reduziert werden.“

Dieser Satz macht deutlich, worum es in der sogenannten „Suizidprävention“ geht. Es geht nicht um Aufklärung oder Selbstbestimmung, sondern darum – notfalls auch mit Gewalt – Suizide zu verhindern! Selbstbestimmung ist hierbei gefährlich, denn im Zweifelsfall entscheiden die Menschen sich anders als sie sollen.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Paragraphen ausdrücklich und ersatzlos gestrichen. Das Bundesverfassungsgericht hat explizit festgelegt, dass es ein allgemeines Persönlichkeitsrecht – gültig für alle Menschen – ist, selbstbestimmt sterben und hierbei auch angebotene Hilfe Dritter in Anspruch nehmen zu dürfen.

Der “Deutsche Ethikrat” versucht nun alles Mögliche zu tun, um dieses Menschenrecht zu relativieren und zu regulieren.

So hat nach Auffassung des „Deutschen Ethikrates“ nur noch jeder „freiverantwortliche“ Mensch das Recht, selbstbestimmt zu sterben.

Dieses Wort, das eine Entscheidungsmöglichkeit vermuten lassen könnte, wird jedoch lediglich dazu benutzt, festzulegen, wer alles nicht in der Lage ist, „freiverantwortliche“ Suizidentscheidungen treffen zu dürfen.

Kann ein Mensch sich „freiverantwortlich“ für den Tod entscheiden, wenn er dabei auf die Beurteilung und das Urteil eines Anderen („Fachperson“) angewiesen ist?

Die Entscheidung, ob ein Mensch sich das Leben nehmen darf, oder dabei Hilfe in Anspruch nehmen darf, liegt also nach Auffassung des „Deutschen Ethikrates“ keinesfalls bei der betroffenen Person selber.

Selbst eine Person, die nach der Definition des „Deutschen Ethikrates“ in der Lage wäre eine „freiverantwortliche“ Suizidentscheidung treffen zu dürfen, würde hierfür die Zustimmung einer „Fachperson“ benötigen.

Selbstverständlich impliziert das einen längeren Prozess der „Aufklärung“. Es entsteht der Eindruck, das dies jedoch nicht „Aufklärung“ im Sinne von Informationen bedeutet, damit ein Mensch selbst eine autonome Suizidentscheidung treffen darf, sondern vielmehr, dass er Gutachten über sich ergehen lassen und sich zu rechtfertigen hat.

Erst wenn sich „trotz aller suizidpräventiven Bemühungen der Suizidwunsch einer Person zu einem festen Willen verdichtet…“ ist demnach die Inanspruchnahme assistierter Sterbehilfe überhaupt – zumindest theoretisch – möglich.

Psychiatrische Diagnosen schließen zwar laut dem „Deutschen Ethikrat“ eine „freiverantwortliche“ Suizidentscheidung nicht gänzlich aus, können jedoch die „freiverantwortliche“ Entscheidungsfähigkeit einschränken.

Entsprechend müsse eine „hinreichend überlegte“ und „hinreichend ernsthafte“ Beständigkeit in dem Suizidwunsch geboten sein.

Auch hier darf dies selbstverständlich nicht die betroffene Person selber beurteilen, sondern nach Auffassung des „Deutschen Ethikrates“ eine „Fachperson“.

Und wir alle wissen, was passiert, wenn ein Mensch seine Suizidgedanken zu laut ausspricht, insbesondere gegenüber „Fachpersonen“.

Menschen werden dafür entmündigt und weggesperrt. Wenn sie vorher noch keine psychiatrische Diagnose haben, dann bekommen sie diese spätestens dann angedichtet, um die psychiatrische Gewalt zu legitimieren.



In jedem Bundesland gibt es ein Gesetz zum angeblichen Schutz von Menschen mit „psychischen Erkrankungen“. Diese Gesetze enthalten einen Paragraphen, der besagt, dass Menschen mit psychiatrischen Diagnosen bei Selbst- oder Fremdgefährdung in eine psychiatrische Anstalt gesperrt werden dürfen.

Dieser Paragraph lässt die Hintertür offen, Menschen mit einer fragwürdigen „psychiatrischen Diagnose“ aufgrund von vermeintlicher „Eigengefährdung“ (Beurteilung durch „Fachleute“) einzusperren, um sie mit Zwang und Gewalt daran zu hindern, ihrem Leben und Leiden ein Ende zu bereiten.

Obwohl der „Deutsche Ethikrat“ zwar selbst sagt: „Offenkundige Mittel der Freiverantwortlichkeit ausschließenden Fremdbestimmung sind Zwang, Drohungen und Täuschung.“

Leider müssen wir hier jedoch davon ausgehen, dass die sogenannte „Suizidprävention“ oder der Zwang, die Gewalt, Drohungen und Täuschungen der Psychiatrie davon ausgenommen sind.

Der “Deutsche Ethikrat” will weiterhin kontrollieren und regulieren, wer sich gegen das Leben entscheiden darf.

Ganz subtil und nebenbei befindet der “Deutsche Ethikrat” außerdem Vorausverfügungen – die den eindeutigen Willen von Menschen festhält – im Falle einer Suizidentscheidung für nichtig.

Selbst wenn zum Zeitpunkt des Verfassens sämtliche der von ihm selbst definierten Kriterien der „Freiverantwortlichkeit“ erfüllt sind, ist der „Deutsche Ethikrat“ der Auffassung, dass dies nicht ausreichend ist um sich vor dem Zwang, unter selbst definierten, untragbaren Lebensumständen weiter existieren zu müssen, schützen zu können.

Solange es „legal“ ist, Menschen aufgrund von Suizidgedanken einzusperren, sind wir von Selbstbestimmung in jeglichen Kontexten rund um Suizid weit entfernt!

Das Bundesverfassungsgericht hat geschrieben: „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“

Der „Deutsche Ethikrat“ will diese Aussage folgendermaßen einschränken: „Staat und Gesellschaft haben zwar nicht das Recht, die Menschen gegen ihren Willen an der Verwirklichung freiverantwortlich getroffener Suizidentscheidungen zu hindern […]“

Berücksichtigt man hier jedoch die Definition der „Freiverantwortlichkeit“, so könnte man zu dem Schluss kommen, dass dies auf kaum einen Menschen zutrifft – alle anderen dürfen demnach mit Gewalt und gegen ihren ausdrücklichen Willen daran gehindert werden.

In unseren Betroffenenreihen sind Fälle bekannt, wo sich Menschen das Leben genommen haben, um dieser gewaltvollen, angeblichen „Suizidprävention“ zu entkommen.

An dieser Stelle möchten wir dazu anregen, einmal die Frage zu stellen: „Wie viele Menschen werden gezwungen weiterleben zu müssen, obwohl sie dies nicht wollen, weil sie keine andere Wahl haben?“

Jeder Mensch, der sich für ein selbstbestimmtes Lebensende entscheidet, wird dazu genötigt, einen langen Weg an Rechtfertigungen, Beurteilungen und Gutachten anderer über sich ergehen zu lassen. Er ist darauf angewiesen, dass Andere entscheiden, ob er sein Leben beenden darf – oder ob er dabei Hilfe bekommen darf.



Möchte sich ein Mensch wirklich freiverantwortlich und selbstbestimmt das Leben nehmen, muss er sich für einen einsamen, qualvollen und unsicheren Suizid mit einem hohen Risiko bleibender Schädigungen zu überleben, entscheiden. Darüber zu reden ist bereits gefährlich.

Wir sind für Aufklärung. – Jedoch für richtige Aufklärung. Ohne Stigmatisierung. Ohne Pathologisierung. Ohne Psychiatrisierung. Und ohne Diagnostizierung.

Wir sind für Beratungsangebote. – Müssen jedoch bei vielen Beratungsstellen auf deren Webseiten oder in ihren Regelwerken lesen, dass sie sich dazu verpflichtet glauben, die Polizei rufen zu müssen, wenn ein Mensch es wagt, über Suizidgedanken zu sprechen. (Dies betrachten wir als das Resultat der sogenannten „Suizidprävention“.)

Menschen mit Suizidgedanken werden durch Sprachverbote und aus Angst vor Gewaltmaßnahmen zum Schweigen verurteilt und in die Einsamkeit gedrängt.

Wir sind dafür, offen mit Menschen über ihre Suizidgedanken zu sprechen. – Ohne Verurteilungen. Ohne Angst. Ohne drohende Gewalt.

Die tatsächliche Entscheidungsfreiheit darüber, ob ein Mensch weiter leben oder lieber sterben möchte, muss unserer Auffassung nach jedoch bedingungslos bei der betroffenen Person verbleiben!

Die Fremdbestimmung, mit Gewalt und zwangsweise am Leben gehalten zu werden ist unserer Meinung nach sowohl unzulässig als auch zutiefst unmenschlich.

Menschen müssen leben wollen! Ihnen muss dabei geholfen werden, sich ein Leben aufzubauen, das sie als lebenswert empfinden.

Echte Suizidprävention würde unserer Auffassung nach also darin bestehen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Menschen leben möchten. Nicht darin, sie mit Gewalt daran zu hindern, ihrem nicht lebenswert empfundenen Leben ein Ende zu bereiten!

Wie viel mehr Menschen könnte geholfen werden, wenn sie über ihre Suizidgedanken sprechen dürften, ohne Angst vor Gewaltmaßnahmen haben zu müssen?

Wie vielen Menschen wäre schon damit geholfen, mit ihren Suizidgedanken nicht alleine bleiben zu müssen?

Leider sind uns – außer unseren eigenen – keine Beratungsangebote zu dem Thema bekannt, wo Menschen angstfrei über ihre Suizidgedanken sprechen können. Ohne Angst vor Sanktionen. Ohne Angst vor Diagnosen. Ohne Angst davor, in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen zu werden. Ohne Angst davor, dadurch ihre Freunde oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Es ist laut Bundesverfassungsgericht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht, selbstbestimmt sterben zu dürfen. Hierbei sogar angebotene Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen.

Wieso nimmt sich nun also der „Deutsche Ethikrat“ das vermeintliche Recht heraus, dieses Persönlichkeitsrecht regulieren zu wollen? Der „Deutsche Ethikrat“ ist der Auffassung, er dürfe dieses Persönlichkeitsrecht Menschengruppen – insbesondere Menschen mit Suizidgedanken – verweigern.

Bevor die Zwangs-, Entmündigungs- und Gewaltpraktiken unter dem Vorwand der nicht vorhandenen „Zurechnungsfähigkeit“ abgeschafft wurden, ist unserer Auffassung nach eine sinnvolle Suizidprävention, die Menschen dazu ermutigen könnte, dem Leben noch eine Chance zu geben – anstatt sich vor Angst in die Isolation und ggf. den Suizid zu flüchten – kaum möglich.