Erschüttert haben wir die beiden Vorfälle von Polizeigewalt mit Todesfolge in Mannheim verfolgt. Die Vorfälle haben ein weiteres Mal gezeigt, dass erhebliche Defizite der Polizei beim Umgang mit Menschen in psychischen Krisen bestehen.
Auch wenn diese beiden tragischen Fälle nun für einen kurzen Moment die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zogen, sind gewaltvolle Übergriffe gegenüber Menschen in psychischen Krisen leider keine Ausnahme!
In Deutschland werden jährlich rund eine Million Menschen in die Psychiatrie eingewiesen.
Ein Fünftel davon unfreiwillig durch die Anwendung von Zwang.
Meistens geschieht dies mit Hilfe der Polizei.
Psychiatrie-Erfahrene berichten uns über unser telefonisches Beratungsangebot regelmäßig von Grenzüberschreitung sowie rabiater Gewaltanwendung seitens Polizist*innen im Zusammenhang mit Zwangseinweisungen in die Psychiatrie.
Zwei zentrale Gründe gibt es, dass diese selten an die Öffentlichkeit dringen:
1.) Das Thema Psychiatrie wird von Seiten der Presse grundsätzlich ungern behandelt, wenn es um die Übergriffe gegen Psychiatrie Erfahrene geht.
Deutlich häufiger wird über die selteneren Fälle von Grenzüberschreitung durch Psychiatrie-Erfahrene berichtet.
2.) Durch die Autorität der Polizei und das Stigma, welches mit einer zwangsläufigen Unterbringung in einer psychiatrischen Institution einhergeht verschweigen Opfer von Polizeigewalt ihre Erfahrung gegenüber Dritten.
Dies hat zur Folge, dass nur Vorfälle mit besonders tragischem Ausgang ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Dazu gehört neben dem Vorfall vom Berliner Neptunbrunnen im Jahr 2013 auch der Tod durch Schüsse eines Polizisten auf Aman Alizada (siehe dazu: https://bpe-online.de/stellungnahme-des-vorstands-zu-den-toedlichen-schuessen-der-polizei-auf-aman-alizada/ ).
Bei dem ersten Vorfall, bei dem ein 47-jähriger Mann mit Migrationshintergrund von zwei Polizisten am Boden derartig fest auf den Kopf geschlagen wurde, dass er infolge der Schläge zu Tode kam, ist ein weiterer wichtiger Faktor zu betrachten:
Rassismus und Vorbehalte gegenüber Minderheiten können ein äußerst gewaltvolles Einschreiten seitens der Polizei begünstigen.
Nach den Berichten über Rechte Vernetzung innerhalb der Polizei (NSU 2.0, Nordkreuz etc.) können diese Motive von Polizeigewalt auch nicht mehr als Einzelfall abgetan werden.
Beim ersten sowie beim zweiten Vorfall, bei dem ein 31-jähriger Mann den Presseberichten zufolge seine Mutter gewalttätig bedroht hatte und sich während des Polizeieinsatzes erhebliche Schnitt Verletzungen zufügte, haben eine große Gemeinsamkeit mit dem Fall Alizada:
Der Einsatz von Pfefferspray.
Offenbar ist in den Reihen der Polizei noch nicht der Erfahrungswert erkannt worden, dass der Einsatz von Pfefferspray nicht zur Deeskalation beiträgt.
Dies zeigt, dass die Polizei im Kontext Deeskalation nicht ansatzweise ausreichend geschult ist.
Der UN-Sonderberichterstatter für Folter und erniedrigende Behandlung, Nils Melzer, hat sich bereits ausführlich im Zusammenhang mit Polizeigewalt bei Demonstrationen gegenüber der dpa geäußert:
Aggressive Verhaltensweisen der Polizei sind der Bewertung des UN-Sonderberichterstatters zufolge kein Einzelfall in Deutschland.
Als Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener setzen wir uns schon seit unserer Gründung, dass Menschen mit eigener Psychiatrie-Erfahrung entscheidend daran mitwirken, dass eine sinnvollere Ausbildung in verschiedensten Bereichen durchgeführt wird. Anhand der Häufigkeit von Zwangseinweisungen durch die Polizei und der Schwere der Vorfälle in Mannheim muss umgedacht werden:
Es müssen neue Interventionsmöglichkeiten zum Umgang mit Menschen in psychischen Krisen umgesetzt werden! Gerade Menschen mit Gewalterfahrung fühlen sich durch das Auftreten der Polizei bedroht.
Alternativen müssen her!
Dies könnten idealerweise betroffenenkontrollierte (oder zumindest multiprofessionelle) Deeskalationsteams sein, die ohne Uniform, Pfefferspray und Schusswaffe zum Ort des Geschehens kommen.
Zudem müssen nach UN-Behindertenrechtskonvention Menschen mit gelebter Erfahrung von psychischen Krisen maßgeblich an Aus- und Weiterbildung im Kontext Deeskalation beteiligt werden.
Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Vorfälle in Mannheim. Die Verantwortlichen von Polizeigewalt müssen in diesem und in allen anderen Fällen vom Rechtsstaat genauso behandelt werden wie alle anderen Menschen. Wir fordern die sofortige Abschaffung der sogenannten Psychisch Kranken Gesetze (PsychKG)!
Zudem fordern wir Partizipation an verpflichtenden Aus- und Weiterbildungsprogrammen für Polizist*innen zu Deeskalationsmethoden im Kontakt mit Menschen in psychischen Grenzzuständen.
Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer.
Felix von Kirchbach für den Vorstand des BPE e.V.
Weiterführende Links:
https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/deutschland-rassismus-polizeiarbeit
https://taz.de/Schwerpunkt-Polizeigewalt-und-Rassismus/!t5008089//
https://bpe-online.de/stellungnahme-des-vorstands-zu-den-toedlichen-schuessen-der-polizei-auf-aman-alizada/
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/2021/11/rk20211102_1bvr157518.pdf?__blob=publicationFile&v=4
https://www.behindertenrechtskonvention.info/