Dies ist die Stellungnahme des  BPE zu einem Aufruf von So-Psy . Den Text auf den sicht die Stellungnahme bezieht findest Du hier:

Hier die Stellungnahme in der finalen Version:

(https://so-psy.ch/wp-content/uploads/2021/05/SOPSY_ALL_-PP-mit-Begegnung-gengen-Zwang-V2021.pdf)

Im Vergleich zur psychiatrischen Regelversorgung wirkt das Positionspapier der SO-PSY fortschrittlich, allerdings gibt es aus Psychiatrieerfahrenen-/Betroffenensicht einige kritische Aspekte.

Der hier genutzte Begriff der “Fürsorgerischen Unterbringungen (FU)”, der auch im Schweizer Gesetz verankert ist,  ist ein Euphemismus! Hinter diesem Begriff verbirgt sich das gewaltsame Einsperren eines Menschen gegen dessen Willen in einer psychiatrischen Station. Die SO-PSY hinterfragt diesen proklamierten “Fürsorge”-Charakter nicht, sondern geht davon aus, dass andere Personen mit einer “begründeten Meinung” Betroffenen gegen deren Willen “helfen” könnten.
Diese aufgezwungen “Hilfe” wird von vielen Betroffenen  jedoch aber überhaupt nicht als hilfreich empfunden. Tatsächlich führen Zwangsmaßnahmen oft zu einer Verschlechterung des psychischen Befindens und können sogar traumatisch sein.

Zudem wird vorausgesetzt, dass der “freie Wille” in einer psychischen Krise eingeschränkt wäre. Dies ist ein sehr fragwürdiges Konzept. In der Psychiatrie wird Menschen der “freie Wille” in der Regel dann abgesprochen, wenn sie einer Behandlung nicht zustimmen. Würden sie in der selben Situation der Behandlung zustimmen, würde ihr “freier Wille” nicht in Frage gestellt. Würde es sich um ein objektiv feststellbares Konzept halten, dann dürfte die Einwilligung einer Behandlung in einer psychischen Krise auch keine Wirksamkeit haben.
Freier Wille und Urteilsunfähigkeit sind nicht objektiv messbar, sondern immer eine subjektive Einschätzung von Menschen in Machtpositionen.

In der Stellungnahme heißt es “Die SGSP D-CH setzt sich gemäss dem Best-Practice-Leitsatz «No Force First» (Ashcraft et al. 2012) für eine konsequente Reduktion von Zwangsmassnahmen in der Psychiatrie ein. Ganz allgemein sind Zwangsmassnahmen möglichst zu vermeiden.”
Reduktion und Vermeidung von Zwang ist zwar ein guter erster Schritt, notwendig ist aber ein vollständiges Verbot von Zwangsmaßnahmen, da diese gegen den Paragraph 5 der UN-Menschenrechtscharta verstoßen. Dieser besagt, dass niemand Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf (siehe :https://www.menschenrechtserklaerung.de/folter-3551/). Ein gezieltes Verstoßen gegen  grundlegende Menschenrechte mit der Bergündung, dass dies zum Besten der Betroffenen Person geschieht, ist ein Widerspruch in sich.

Auch die einzeln aufgeführten Forderungen können wir so nicht unterstützen.

Zu 1. -3.) In der Psychiatrie scheitert es nicht unbedingt an der Zahl der Pflegepersonen, sondern auch deren Motivation und Fähigkeiten sind ein wichtiger Faktor.
Die Forderung nach einer besonderen Qualifizierung und höheren Bezahlung ist nicht zielführend. Menschlichkeit und Einfühlungsvermögen können nicht durch eine Qualifizierung erlangt werden. Wir stellen fest, dass je besser die Ausbildung ist, desto größer ist die Arroganz und Abstumpfung gegenüber den Bedürfnissen anderer Menschen.


zu 4.) Die Einbeziehung von Peer-Genesungsbegleiter*innen finden wir grundsätzlich unterstützenswert. Aus unserer Erfahrung hat sich allerdings leider gezeigt, dass die Arbeitssituation für Peer-Genesungsbegleiter*innen im psychiatrischen System oft sehr schlecht ist. Sie stehen in der Hierarchie weit unten und scheinen mehr eine Alibi-Funktion zu erfüllen, als tatsächlich mitwirken zu können.

Zu 5.) Behandlungen die Zuhause durchgeführt werden, haben den Vorteil, dass Menschen nicht aus ihrer vertrauten Umgebung heraus müssen und die Therapie  im Alltag sehr viel lebensnäher ist, als die Behandlung in einem Krankenhaus. Allerdings bedeutet das auch ein physisches Eindringen der Psychiatrie ins Privatleben der Patient*innen. Deshalb müssen diese Behandlungen mit großer Vorsicht erfolgen und benötigen ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Patient*in und Behandelnden.

Zu 6. und 7.) Die Förderung der genannten Methoden und Konzepte begrüßen wir. Insbesondere Vorausverfügungen sind ein wichtiges Mittel, das leider im psychiatrischen Kontext noch selten zum Einsatz kommt. Unsere Forderung lautet, dass  Psychiatrische Zwangsbehandlung verboten werden muss. Falls sie zur Anwendung  kommen soll, sollte zur Wahrung der Menschenrechte dies vorher ausdrücklich in einer Vorausverfügung festgehalten werden – nicht umgekehrt.
(Siehe hierzu unsere derzeitige Petition: www.tinyurl.com/gegenZwang)

Zu 9.) Wie oben bereits beschrieben, ist “Urteilsunfähigkeit” kein objektiver Maßstab, auf den man sich berufen könnte. Somit ist auch die Begrenzung von Zwangsmaßnahmen auf “urteilsunfähige Personen” abzulehnen.

Zu 10.) Wieso die SO-PSY zwar für eine Abschaffung von Fixierung plädiert, dabei aber eine Ausnahme zulässig findet (Zitat: “Einzig denkbare Ausnahme ist die vorherige Bewilligung durch eine unabhängige externe Stelle.”) ist nicht nachvollziehbar. Welche Art unabhängiger externe Stelle das sein soll und wie die “Zulässigkeit” einer Fixierung geprüft werden soll, wird nicht erläutert. So oder so muss das gewaltsame Festbinden eines Menschen in der Psychiatrie generell unzulässig sein.

Wir fordern die sofortige Abschaffung von Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie!
Psychiatrie muss ein freiwilliges und gänzlich gewaltfreies Hilfsangebot werden!